Landsberg
im 20. Jahrhundert
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Der "Führerkult" als Religionsersatz

Die Bekenntnismärsche der Hitlerjugend

- von Anton Posset -

„Ich weiß, dass die Gefängniszellen der Nationalsozialisten einmal Wallfahrtsorte einer neuen deutschen Jugend sein werden.“ schreibt Adolf Hitler nach seinem Putschversuch vom 9. November 1923 während seiner Landsberger Festungshaft in „Mein Kampf“. Wie er in der „Bibel“ der Nationalsozialisten seinen gesamten verbrecherischen Plan darlegte, den er später in die Tat umsetzte, sollte auch diese Ankündigung mit tatkräftiger Unterstützung aus Landsberg wahr gemacht werden.

Die "neue" Jugend: "Mein Kampf" wird in der Hitlerzelle überreicht

Am 18. September 1937 findet der „Adolf-Hitler-Marsch“ im Anschluss an den Nürnberger Reichsparteitag der NSDAP in Landsberg seinen Abschluss. Die „Landsberger Zeitung“ beschreibt diese Jugend und ihren Marsch:

"Eine neue Generation wächst in ihr auf, mit neuen Idealen, mit neuem Glauben, eine Generation, die weder Klassen- noch Konfessionsunterschiede kennt, …die nicht in arm und reich getrennt ist. Dieser Adolf-Hitler-Marsch ist ein Glaubensmarsch, dieser Glaubensmarsch ist eine Wallfahrt der deutschen Jugend. Und wie sich bei allen Wallfahrten Hunderte und Tausende beteiligen, so sind auch hierbei Hunderte und Tausende. Nur mit einem Unterschied. Während die einen als Büßer zu ihren Wallfahrtsstätten pilgern, mit gesenkten Köpfen und niedergeschlagenen Augen, so schreitet die Jugend, aufrecht im Gleichschritt durch die deutschen Gaue und ihre Lieder sind ein Bekenntnis zum deutschen Volk, ihr Gebet zu Gott. Über den Häuptern aber weht die Fahne des Glaubens, die Fahne des Sieges und die Fahne der Einigkeit."

Die Beschreibung der „Adolf-Hitler-Märsche“ wird der religiösen Sprache entnommen und ruft religiöse Assoziationen hervor. Anfangs waren diese Märsche Sternmärsche der Hitlerjugend aus dem gesamten Reich zum NSDAP-Reichsparteitag nach Nürnberg. Die Tradition des Jugendmarsches nach Nürnberg beginnt bereits 1929. Damals marschierte die Berliner Hitlerjugend zum ersten Mal zu einem Parteitag der NSDAP nach Nürnberg. 1934 trat die Schlesische Hitlerjugend diesen Marsch an. 1935 nahmen alle Gaue mit Marscheinheiten daran teil.

„Mehr als 2.000 Hitlerjungen im Durchschnittsalter von 17 Jahren legten 700 Tage lang täglich mehr als 23 Kilometer Marschstrecke zurück.“ Das Organisationsamt der Reichsjugendführung wählt die Marschteilnehmer nicht nur nach körperlichen Gesichtspunkten aus. Alle Marscheinheiten werden großzügig mit Lastkraftwagen, einer Feldküche und einem begleitenden Arzt ausgestattet. Für die Nationalsozialisten waren die Märsche auch immer „ein Marsch durch das Volk“.„Sie erleben an der Landstrasse, in den Dörfern und Städten die gleiche Freude und Liebe, mit der sie überall, im Bauernhof wie in der Mietswohnung, in der Villa, in der Hütte willkommen geheißen werden. Die nationalsozialistische Volksgemeinschaft findet auf diesem Marsch ihre schönste Verwirklichung.“ So wird es in dem Buch „Adolf-Hitler-Marsch der deutschen Jugend“ vom Chef des Organisationsamtes und des Aufmarschstabes der Reichsjugendführung, Kley, beschrieben.

„… Im vergangenen Jahr wurde der Adolf-Hitler-Marsch der HJ zum ersten Mal planmäßig für das ganze Reich durchgeführt.1.200 Hitlerjungen marschierten und brachten 330 Bannfahnen zum Reichsparteitag. In diesem Jahr sind 9450 Kilometer in 560 Tagesmärschen zurückzulegen, also zwanzig bis fünfundzwanzig Kilometer von jeder Einheit an jedem Marschtag. An jedem dritten Tag ist Ruhe und Zeit für Besichtigungen, Sport und Spiel.“ berichtet die „Landsberger Zeitung“ am 8. August über den „Adolf-Hitler-Marsch“.

Bekenntnismarsch: Hitlerjugend mit ihren Bannfahnen auf dem Weg nach Landsberg

Am 21. August 1936 berichtet die „Landsberger Zeitung“ von der Übergabe des Landsberger Stadtwappens an die Adolf-Hitler-Marsch-Teilnehmer: „Dreizehn Banne zählt das Gebiet Hochland (der heutige Bezirk Oberbayern)… Der Landsberger Bann B/325 hat vier Hitlerjungen, und zwar einen aus Alling, zwei aus Puchheim und einen aus Inning entsandt. Acht Marschtage, (177Kilometer) unterbrochen von eintägigen Ruhepausen wird die Kolonne auf der Strasse liegen, die nach Norden führt und an deren Ende als Ziel das große Aufmarschgelände winkt, auf dem am 9. September die Jugend des Reiches vor ihrem Führer antreten wird… Die Übergabe des Stadtwappens erfolgte am Donnerstag Abend in Anwesenheit zahlreicher Zuschauer durch den 1. Beigeordneten Ortsgruppenleiter Pg (Parteigenosse) Nieberle, der im Namen des Bürgermeisters der Stadt Landsberg dem Stellenleiter des Bannes Pg Lüne das Wappen zu treuen Händen überreichte. Unter Trommelklang und schmetternden Fanfaren waren die Ehrengefolgschaft der Hitlerjugend mit ihrer Fahne am Hauptplatz aufmarschiert.“

 Nieberle übergab das Stadtwappen , das vom Landsberger Bauamt entworfen und vom Maler Schmidt künstlerisch gestaltet worden war und führte aus, „dass jedem, der den Namen Landsberg lesen würde ins Bewusstsein komme, das ist die Stadt in der Adolf Hitler die schwersten, aber für Deutschland die glückhaftesten Stunden verbringen musste. Ich glaube kaum, dass außer dem Wappen der Hauptstadt der Bewegung in Deutschland sich ein Stadtwappen befindet, das derart historisch und symbolisch für unser Drittes Reich ist.“

 Die Stadt Landsberg maß dem „Adolf-Hitler-Marsch“ 1936 große Bedeutung zu und hat sich mit großer Begeisterung der Vorbereitung der Teilnahme gewidmet. Noch war nicht bekannt, was im folgenden Jahr geschehen sollte. Entsprechend begeistert wird am 16. September 1936 über die Rückkehr der Teilnehmer berichtet: „Sogleich bildete sich ein Zug und unter der Leitung des Ortsgruppenleiters zog einhalbes hundert politischer Leiter der SA, SAR und der SS mit Blumen geschmückt und unter Gesang zum Hauptplatz. Dann wurden die Fahnen ins Rathaus getragen… Auf allen Gesichtern der Männer, die in diesen Tagen in Nürnberg waren, leuchtete noch die Freude über alles Erlebte und Geschaute.“

 Die Bezeichnung dieser Märsche als „Glaubens“- , „Treue-“ oder „Bekenntnismärsche“ zeigt die Funktion der nationalsozialistischen Jugendarbeit: „Der Vorbeimarsch mit den nun fast 600 Fahnen vor Adolf Hitler ist das freudige Bekenntnis der Jugend zu ihrem Führer und zur nationalsozialistischen Bewegung, ein Bekenntnis der Treue, der Kraft und einer stolzen Freiheit.“ Die Märsche sollten nach dem Willen der Nationalsozialisten eine „Gesamtschau der Ertüchtigungsarbeit und ein Querschnitt durch das Schaffen der größten und modernsten Jugendorganisation der Welt“ sein. Das jugendliche Bedürfnis nach freier Entfaltung sollte unterdrückt und in der für die Partei dienliche Bahnen gelenkt werden.

Jeder Jugendliche, der sich dem Gruppenzwang der Hitlerjugend entzog und sich in seiner Freizeitgestaltung frei entscheiden wollte, war verdächtig. Wer sich in die Staatsjugend nicht einordnete, wurde verfolgt und bestraft: Gruppen wie die „Edelweißpiraten“ oder Jugendliche, die nach nationalsozialistischer Anschauung „entartete“ Musik wie Jazz und Swing hören wollten, galten als „Volksfeinde“. Für die „kritische Jugend“ wurden eigens Jugend-KZs eingerichtet.

Die Hitlerjugend dagegen wird eingebunden, ihr wird bei der Durchdringung der Gesellschaft mit der nationalsozialistischen Ideologie besondere Bedeutung eingeräumt.

In der Phase bis 1933 ist die HJ ein Kampfmittel der Nazis zur Beseitigung der Weimarer Republik. Nach der Machtübernahme 1933 wird die gesamte deutsche Jugend von der HJ heftig umworben, um dann im Dezember 1936 zur Staatsjugend mit Zwangsmitgliedschaft zu werden: „Mit dem Beginn des Jahres 1937 sind alle freigewordenen Kräfte eingesetzt worden zur Führerauslese und Führerschulung… Ist das Problem der Führerauslese gelöst, dann können wir sagen, dass an jeder Stelle ein Mann Adolf Hitlers steht. Damit erobern wir die deutsche Zukunft und sichern für alle Zeiten den Nationalsozialismus.“ stellt der Obergebietsleiter der HJ Oberbayern, Klein, im September 1937 anlässlich des ersten „Adolf-Hitler-Marsches“ von Nürnberg nach Landsberg fest.

Zwei Mal finden die „Adolf-Hitler-Märsche“ nach Landsberg statt. In der Hitlerzelle wird den Jugendlichen das Buch „Mein Kampf“ überreicht. Auf dem Gefängnishof und dem Landsberger Hauptplatz finden die Märsche mit Großkundgebungen ihren Abschluss. Der „Adolf-Hitler-Marsch“ 1939 wird nach dem Überfall auf Polen kurzfristig abgesagt. Das in Landsberg geplante gigantomanische Aufmarschstadion, das „Stadion der Jugend“, wurde nicht mehr realisiert und bleibt lediglich als Modell erhalten.

Adolf-Hitler-Marsch 1937: Vor der Festung Landsberg

Landsberg wurde nach 1933 zum nationalsozialistischen „Wallfahrtsort“. Die christlichen Werte der Wallfahrt werden von den Nationalsozialisten pervertiert und ihres Inhalts beraubt. Die Hitlerjugend wurde mit pseudoreligiösen, kultischen und mythischen Zeremonien begeistert und auf den Nationalsozialismus eingeschworen.

Die katholischen Jugendverbände dagegen wurden am 25. Januar 1938 unter Anwendung des Paragraphen 1 der „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ verboten. Man warf ihnen vor, dass „die jugendlichen Mitglieder durch die Leiter einzelner Gruppen teilweise vom Diozösanjugendrat selbst, in unverantwortlicher Art und Weise planmäßig für eine politische Nachrichtenübermittlung eingesetzt und zur Herstellung und zum Vertrieb illegaler, zersetzender und hetzerischer Propaganda übelster Art eingesetzt wurden. Außerdem wurden die Mitglieder innerhalb der Vereine für politische und staatsfeindliche Aufgaben geschult und herangezogen unter völliger Vernachlässigung ihrer satzungsgemäßen, religiösen Aufgaben. Da sich damit diese Organisationen als Gruppen des politischen Katholizismus erwiesen und sich selbst außerhalb der ihnen von der Kirche gestellten Aufgaben stellten, musste der Staat eingreifen und zu ihrer Auflösung schreiten.“

 Die Kirche ließ ihre Jugendlichen im Stich, ebenso wie sie die Pervertierung religiöser Werte durch die Nazis duldete. So ließ sich Kardinal Michael von Faulhaber, als er 1938 den NS-Gegner Pater Rupert Mayer SJ im Landsberger Gefängnis besuchte, vom Reichsjustizminister Gürtner zum Besuch der Hitlerzelle, dem nationalsozialistischen „Heiligtum“, verpflichten. Dieses Signal hatte eine verheerende Wirkung in den katholischen Jugendverbänden und im deutschen Katholizismus.

 

 

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