Landsberg
im 20. Jahrhundert
Bürgervereinigung zur Erforschung der Landsberger Zeitgeschichte

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Wer hat Angst vor einem Modell
aus der NS-Zeit?

Das verschwundene „Stadion der Jugend

-von Anton Posset-

Im Herbst 1990 beschäftigen sich drei Landsberger Schülerinnen im Rahmen des Schülerwettbewerbs „Deutsche Geschichte“ um den Preis des Bundespräsidenten mit dem Thema „ Alltag im Nationalsozialismus – vom Ende der Weimarer Republik bis zum zweiten Weltkrieg“. Sie untersuchen die Ernennung Landsbergs zur „Stadt der Jugend“. Sie befragen Bürger, die Mitglied der Hitlerjugend waren. Die Mädchen finden ein Gruppenbuch und ein Kriegstagebuch des Fähnleins „Wehrwolf“ und werten es aus. Im Stadtarchiv finden sie Auszüge aus den Stadtratsprotokollen des Jahres 1937, die die Ernennung Landsbergs zur „Stadt der nationalsozialistischen Jugend“ ankündigen. Durch einen Hinweis des ehemaligen Stadtbaumeisters Dengler wird die Schülergruppe auf die Existenz eines Modells des geplanten „Stadion der Jugend“ aufmerksam. Dengler will das Modell zuletzt im Baustadl an der Lechstraße gesehen haben. Dort sei es neben einem Stapel von „Mein Kampf“ gestanden. Er erinnert sich deshalb so gut an diese Begebenheit, da die Stadtarbeiter Seiten des Dünndruckpapiers der Hitlerschrift für ihre „Geschäfte", also als Toilettenpapier benutzt hätten.

Die Suche nach dem Modell wird intensiviert. Doch die Schülerinnen erhalten die merkwürdigsten Auskünfte: Ein Verehrer der Stadt habe es an sich genommen, um es vor der Vernichtung zu schützen. Es soll zur Planung des Sportzentrums verwendet worden sein, da es an gleicher Stelle wie dieses Sportzentrum hätte errichtet werden sollen. Die jugendlichen Forscher erfuhren, daß diese Planung die gesamte Stadtstruktur zerstört hätte, da das Stadion eine breite Aufmarschstraße durch die heutige Katharinenstraße erhalten sollte. All diese Auskünfte und Vermutungen halfen wenig. Das Modell blieb verschwunden. Als die Arbeit im Februar 1981 abgeschlossen wurde, konnte man sich kein rechtes Bild über die Dimensionen des Stadions machen, mußte sich mit den schriftlichen Quellen begnügen.
Die Arbeit der Schülerinnen wurde mit einem Reisepreis ausgezeichnet. Die Ergebnisse der Nachforschungen blieben ohne weitere Auswirkungen im Raum stehen. Nur der damalige Landrat Bernhard Müller-Hahl nimmt in seinem Lebensbericht „Landsberg nach 1918“ darauf Bezug:
Junge Menschen, die das Dritte Reich erforschten, kamen auf den NS-Slogan „Landsberg, Stadt der Jugend“. Man sieht Bilder mit Jungvolkrunen und Hakenkreuzen und fragt sich wie das geschehen konnte. Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß dazu Landsberg nicht gefragt wurde und nichts verhindern konnte. Es wurde so bestimmt, daß junge und unbekannte Menschen nach dem Reichsparteitag noch nach Landsberg fahren. Deshalb wehre ich mich, daß völlig fremde Kräfte den anachronistischen Zug nach Landsberg leiten und Friedensdemonstrationen hier abhalten.“

Das Modell ist weiter nicht auffindbar. Dann 1990 erhalte ich einen Anruf des Architekturmuseums der Technischen Universität München. Man erkundigt sich nach Unterlagen für eine Ausstellung über die NS-Architektur in Bayern. Ich nannte die Pilotprojekte der Unterwasserkraftwerde am Lech und den fertiggestellten Rüstungsbunker in Igling. Im weiteren Verlauf des Gesprächs kam ich auf das verschwundene Modell des „Stadions der Jugend“ zu sprechen. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit wurde mir gesagt, das Modell existiere in Landsberg und dem Architekturmuseum läge ein Foto davon vor. Ich konnte das Bild in der TU München ansehen. Es war unglaublich. Das geplante Aufmarschstadion direkt neben der Justizvollzugsanstalt war erheblich größer als der gesamte Stadtkern von Landsberg. Eine Kopie des Fotos durfte mir nicht ausgehändigt werden. Begründung: Eine Anweisung des damaligen  Landsberger Oberbürgermeisters Franz Xaver Rößle; dieses Modell könne man der Landsberger Bevölkerung nicht zumuten, da sonst eine für eine Kleinstadt unerträgliche Diskussion ausbrechen würde. Es dürfe nur zu wissenschaftlichen Zwecken verwendet werden.

Ein nicht verwirklichtes Modell aus der Zeit des Nationalsozialismus soll Unruhe in der Bevölkerung hervorrufen und die Bürger verunsichern? Unverständlich. Es dürfte sich doch in allen Bevölkerungskreisen eher Erleichterung breitmachen, daß dieses gigantomanische Projekt, das das gesamte Stadtbild zerstört hätte, auf Grund des Kriegsbeginns im September 1939 nicht mehr realisiert wurde! Wie dem auch sei, die Bürgervereinigung wandte sich nach diesen Informationen an den neuen Stadtarchivar Hartfried Neunzert, der sich sofort kooperativ zeigte und uns eine Kopie zur Verfügung stellte.

Das Modell, seit 1980 spurlos verschwunden, war wieder aufgetaucht. Ein wichtiges Kapitel in der Geschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts kann damit vervollständigt werden. Es ist ein Teil Stadtgeschichte, der nie verwirklicht wurde. Es mußte nicht gesprengt werden, wie das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg. Vom gigantomanischen Bauwahn der Nationalsozialisten blieben in Landsberg keine Spuren außer einem tischgroßen Modell des „Stadions der Jugend“, über das man eigentlich nur schmunzeln kann. Zurück blieb aber offensichtlich auch eine Wunde, die dazu führte, daß man dieses Modell als vernichtet ausgab, während es in irgendeinem städtischen Arsenal lagerte.

Das Modell zeigt, wie sich manche Bauplaner des Dritten Reiches einen Großbau für die drittwichtigste Stadt des Nationalsozialismus vorstellten. Landsberg sollte neben die „Stadt der Bewegung“ (München), die „Stadt der Reichsparteitage“ (Nürnberg) als „Stadt der Jugend“ treten. In Nürnberg sind die Reste des gesprengten Reichsparteitagsgeländes zu sehen, ebenso wie in München so mancher NS-Bau erhalten geblieben ist. In Landsberg am Lech erinnert nichts außer einem kleinen Modell an die von den Nationalsozialisten beabsichtigte Bedeutung der Stadt. Und wenn heute ein Besucher in die „Stadt des Führers“ kommt, sucht er die Festung vergeblich auf dem Schloßberg. Als Bestandteil der Justizvollzugsanstalt ist sie nicht auszumachen.

Offen bleibt die Frage, ob es nicht auch detaillierte Baupläne gibt, die bis heute noch nicht aufgefunden worden sind. Landsberg kann mit der Existenz des Modells leben. Es kann doch eine Stadt nicht so belasten, daß man es ihren Bürgern vorenthalten müßte. Oder etwa doch?

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