Landsberg
im 20. Jahrhundert
Bürgervereinigung zur Erforschung der Landsberger Zeitgeschichte

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Ein neuer Bürgermeister
- Neue Strategien und Prozeßflut -

1988 wird F.X. Rößle neuer Oberbürgermeister der Stadt Landsberg am Lech. Er erkennt die Fehler seines Vorgängers und leugnet die historischen Tatsachen selbst nicht. Aber auch er möchte Landsberg nicht zum „zweiten Dachau“ hochstilisieren lassen und bevorzugt die leisen Versöhnungstöne. Eine deutliche Sprache, die die Verbrechen beim Namen nennt, wird als „der Sache nicht dienlich“ abqualifiziert. Fotos von „toten Juden“ sollte man tunlichst nicht zeigen.
„Landsbergs Geschichte während der Nazizeit ist nicht von den Landsbergern gemacht worden“ ist das gebetsmühlenartig wiederholte Standartstatement. Er möchte  „die Geschichte in Bahnen lenken“ und „den Bürgern erträglicher machen“. Die Verschwörung des Schweigens wird fortgesetzt. [3]

Bereits zu Beginn seiner ersten Amtsperiode distanziert sich der neue Oberbürgermeister von der Bürgervereinigung. Anlaß bietet ihm ein Aufsatz Possets in der an sich bedeutungslosen Zeitschrift „Demokratische Schule“. Medienwirksam sagt er seine Teilnahme an einer Grundgesetzfeier der Bürgervereinigung ab und verweigert die Mitwirkung bei künftigen. Veranstaltungen.

In den kommenden Monaten spielt er systematisch Mitglieder des Vereins  untereinander aus. Geschickt nutzt er jede Gelegenheit Vorstände der Bürgervereinigung zu demütigen und zu öffentlichen Auseinandersetzungen zu provozieren. Sein Ziel wird er später einmal sehr deutlich formulieren: „So lange sie einen 1. Vorsitzenden wie Posset haben, gibt es keine Zusammenarbeit“ [1]. Die zermürbende Taktik der Stadt Landsberg trägt Früchte: so planen einige Mitglieder den „Führungswechsel“ und versuchen sich selbst an die Spitze des Vereins zu setzen. Ihr Vorhaben scheitert, Posset hat das Vertrauen der Mitgliederversammlung. Der dadurch entstehende Konflikt wird die Arbeit der Bürgervereinigung auf Jahre lähmen. Es kommt zu Vereinsausschlüssen. Im Zusammenhang mit den damaligen Auseinandersetzungen, treten etwa zwanzig Prozent der Mitglieder aus dem  Verein aus.
Es folgt eine Flut von Strafanzeigen und Privatklagen gegen den Verein und einzelne Vorstände. Urheber sind überwiegend ehemalige Mitglieder, die sich der Protektion des Oberbürgermeisters erfreuen. Der Verein droht finanziell auszubluten, er muß um sein Überleben kämpfen, man fürchtet die Liquidierung.

Posset wird privat und beruflich zum „Freiwild“ [2a - 2d]. Eifersüchtige Kollegen und Schulleiter setzen ihm zu [4], er muß um seine Karriere fürchten und wird schließlich an eine andere Schule versetzt. Der Filz der Kleinstadt Landsberg wird transparent.

Eine großartige Bühne für diese Inszenierungen bietet das „Landsberger Tagblatt“. Die Berichterstattung läßt längst jegliche Fairneß vermissen, falsche und entstellende Reportagen sind keine Seltenheit. Nicht nur einmal muß die Chefredaktion in Augsburg eingreifen.

1992 erkennt der Vorstand die Ursache vieler Probleme in der Satzung der Bürgervereinigung: „Bei Auflösung des Vereins fällt die KZ-Gedenkstätte sowie das reichhaltige Archiv des Vereins an die Stadt Landsberg“. Der Verein ändert seine Satzung. Tatsächlich lassen jetzt  Anzeigen und Zivilprozesse deutlich nach..
Inwieweit Oberbürgermeister und Stadtrat sich der Schwächen und Eitelkeiten ehemaliger Mitglieder des Vereins bedienten und wie viel sie in diese Dinge tatsächlich involviert waren, kann wegen der bis heute schwierigen Quellenlage nicht eindeutig festgestellt werden.
Auffällig ist, daß alle „Ehemaligen“ die sich in den Kampagnen gegen die Bürgervereinigung als besonders hilfreich erwiesen, in den folgenden Jahren von Stadt und Oberbürgermeister immer wieder protektiert und gefördert werden.



Dokumente:

[1]

(...) „Herr Deiler und ich sind bei einer VHS-Veranstaltung mit dem KZ-Überlebenden Sam Berger als „neugewählte Vorstandsmitglieder der „Bürgervereinigung“ auf Oberbürgermeister Rößle zugegangen und haben um ein klärendes Gespräch über die künftige Zusammenarbeit zwischen Stadt und Bürgervereinigung gebeten. Rößle lehnte kategorisch ab: Solange Sie Posset als 1 Vorsitzenden haben, wird es keine Zusammenarbeit geben.“ Mehr noch: Mit wortstarker Unterstützung seiner Gattin ließ sich der Oberbürgermeister über den 1. Vorsitzenden und die „Bürgervereinigung“ aus. Was ich damals als besonders beschämend und eines Oberbürgermeisters unwürdig  empfand, war, Rößle Herrn Posset in Beisein eines Überlebenden des KZ-Lagers Kaufering IV und eines Sohnes von Anton Posset herabwürdigte. Daß sich die Ablehnung der Zusammenarbeit lediglich auf gemeinsame Veranstaltungen bezogen haben soll, wie Rößle es jetzt darstellt ist schlicht unwahr. (...)
Auszug Leserbrief: Gezielte Ausgrenzung vom 18.11.1993 von Michael Strasas

[2a]

(...) Insbesondere aber meldete sich mit dem Porzellanmaler Dieter Lehner aus Utting a. Ammersee ein Mann zu Wort, der sich sozusagen als Racheengel gegen „Nestbeschmutzer“ berufen fühlte. Lehner äußerte nicht nur in Interviews mit der Lokalzeitung die Ansicht, man müsse in unserer Generation von der Schuldfrage mal ganz abkommen“, er brachte auch Flugblätter mit Spottversen gegen Posset in Umlauf, die ohne weiteres als Aufforderung zur Gewalt verstanden werden konnten: „Es ist von bodenständger Art / denk ich, daß man den Böller lädt, / solch krumme Vögel abzuschrecken / wenn nichts als Schaden sie bezwecken.“
Eine für Oberstudienrat Anton Posset besonders suspekte Komponente bekommt diese Auseinandersetzung dadurch, daß Dieter Lehner nicht nur CSU-Mitglied ist, sondern sich in seiner Eigenschaft als Porzellanmaler und Grafiker auch besonders guter Kontakte zum bayerischen Kultusminister Hans Zehetmair und zum Staatssekretär im Wissenschaftsministerium, Thomas Goppel, erfreut, der den Landkreis Landsberg im bayerischen Landtag vertritt. Für das Kultusministerium durfte Lehner zum Beispiel 26 Porzellanteller zur Ehrung verdienter Vereine anfertigen und Thomas Goppel nahm gerne das Angebot des Uttingers an, ihm seinen Werbeprospekt für die Landtagswahl 1986 zu gestalten. Kein Wunder, daß Posset eine anstößige Querverbindung witterte, als er zu Beginn des Schuljahres an ein anderes Gymnasium in Landsberg versetzt wurde. Immerhin hatte sich Thomas Goppel dem Personalrat und dem Elternbeirat des Dominikus-Zimmermann-Gymnasiums, die vom Kultusminister Possets Versetzung forderten, als Briefträger zur Verfügung gestellt. Er habe, versichert Goppel, diese Anträge ohne weitere Wertung weitergegeben. Der Abgeordnete machte aber keinen Hehl daraus, daß Posset, wäre es nach ihm gegangen, nicht nur innerhalb Landsbergs versetzt worden wäre.
Bei dieser Sachlage erstaunt es nicht, daß ein Antrag Possets, das Kultusministerium möge ihm eine Unterrichtsbefreiung von zwei Wochenstunden zur Führung von Schulklassen durch das Kauferinger KZ-Gelände gewähren, abschlägig beschieden wurde. Je eine KZ-Gedenkstätte im Norden und im Süden Bayerns (Flossenbürg und Dachau), in denen eine staatlich institutionalisierte pädagogische Betreuung stattfinde, sollte als „Lernort Konzentrationslager“ genügen begründete Minister Zehetmair.“ (...)
Auszug Süddeutsche Zeitung 13.12.1988: Unliebsames Stöbern in der Vergangenheit

[2b]

(...) Dieter Lehner ist höchstrichterlich verurteilt wegen „Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats“. Er hatte neben den besagten „Führer“-Portraits auf Tassen auch SS-Runen und – Sprüche à la „Meine Ehre heißt Treue“ auf Teller gepinselt, sowie die „SS- Panzerdivision Adolf Hitler und anderen braunen Schnickschnack „künstlerisch“ verewigt. (...)
Was Lehner getan habe, könne sich der Rechtsstaat nicht gefallen lassen -
„das ist keine Bagatelle“. (...)
Auszug aus Artikel Süddeutsche Zeitung „Ein Hitler-Maler muß die Waffen strecken“ vom 30.4.1998

[2c]

(...) nicht akzeptieren mag ich allerdings die Bewertung, die der Autor des Artikels für die Stadt Landsberg vornimmt. Sie und ihre Bürger sind alles andere als schwierig“. Sie sind – der Schulleiter des Gymnasiums und OB Rößle beweisen das mit ihren zurückhaltenden Antworten auf Possets Vorwürfe -  nicht daran interessiert, sich die Schul- oder die Stadtgemeinschaft zerstören zu lassen. (...) Landsbergs Bürger wehren sich zurecht, wenn ein zugezogener Mitbürger, der von Berufs wegen weiß, wie Geschichte geschrieben wird, mit Vorurteilen (die jedermann nun einmal hat), an Recherchen herangeht, die „ihre Heimatgeschichte“ in einer schwierigen Phase aufarbeiten helfen soll. (...)
CSU-Pressemitteilung Nr. 67/88; Stellungnahme zum Bericht: Ein schwieriger Mann in einer schwierigen Stadt vom 11.8.88 von MdL Dr. Thomas Goppel, 13.8.1988

[2d]

Offener Brief an meine Kreisstadt Landsberg
Über die Fragwürdigkeit einer Ehrung aus einem Gewaltstaat
(...) Die Leistung Possets bestand darin, sozusagen Material für die israelische Staatsdoktrin zu liefern, nicht aber abgesicherte historisch allgemeinverbindliche Erkenntnisse vorzulegen. An dem sechsarmigen Leuchter, den Yad Vashem sozusagen als geistiges Zentrum der Mittelostmacht Israel, Posset verlieh, klebt das Blut vieler Unschuldigen, die sich dem Staatsterrorismus in Israel nicht beugen wollen. Die Forderung die mancherorts erhoben wird, Posset nun auch hierzulande für seine problematischen Aktivitäten zu ehren, würde nichts anderes bedeuten, als allzu kritiklos in eine Komplizenschaft mit denjenigen einzutreten, die heutzutage den Opfergang des europäischen Judentums unter der nationalsozialistischen Willkürherrschaft, in skrupelloser Weise zu machtpolitischen Zwecken mißbrauchen.“
Dieter Lehner, Oktober 1990

[2e]

(...) „Der Aufsatz von Anton Posset (Das Ende des Holocaust in Bayern, Rüstungsprojekt „Ringeltaube“ KZ-Außenkommando Kaufering-Landsberg 1944/45 in der Geschichtswerkstatt Heft 19: Zwangsarbeit: Arbeit Terror, Entschädigung. Hamburg 1989 S. 29-40), der sich mit den Kauferinger Außenlagern beschäftigt, ist eher durch Übertreibungen und Vermutungen als durch seriöse historische Forschung charakterisiert.“
Dr. Edith Raim: Die Dachauer KZ-Außenkommandos Kaufering und Mühldorf 1992; Inaugural-Dissertation zu Erlangen des Doktorgrades
(bei Dr. Edith Raim handelt es sich um ein am 4.10.1991 aus der Bürgervereinigung ausgeschlossenes Mitglied)

[3]

(...) aber auch in Landsberg ist die Stimmung gespannt: Die Bürger wollen die Kriegsjahre – wenn überhaupt – nur geschönt gezeigt bekommen. Bürgermeister Franz Xaver Rößle packte 1989 – sechs Jahre nach Possets Aufdeckungen – als erster das brisante Thema an: Zusammen mit der Bundeswehr organisierte er eine Ausstellung – ohne Posset. Rößle: Ich wollte die Nazivergangenheit in Bahnen lenken und einen Konsens erreichen, damit das Thema breit akzeptiert wird. Da kann man nicht wie der Herr Posset Fotos von Judenleichen zeigen."
Auszug Artikel TZ vom 6. Mai 1991

[4]

(...) „seither bedrohen und beschimpfen Neonazis den Lehrer. Kollegen lästern: „der Posset haut Bürger dieser Stadt in die Pfanne“. Der Hauptpersonalrat im Ministerium tönt: „Herr Posset, Sie müssen weg von Landsberg.“ Notenbögen und Schulaufgaben verschwinden plötzlich, ein ministerieller Aufpasser kontrolliert seinen Unterricht und unter Schülern heißt es: „Brauchst dich nur über den Posset zu beschweren, dann hast du dein Abitur schon in der Tasche.“ Als Posset sich wegen Neonazi-Schmierereien (in der Schule) an Eltern wendet, wird er als „nazistischer Denunziant“ beschimpft. (...)“
Auszug Artikel Münchner Abendzeitung Politik vom 10./11. März 1990