Landsberg
im 20. Jahrhundert
Bürgervereinigung zur Erforschung der Landsberger Zeitgeschichte

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Dokument

Pressemitteilung, April / Mai 1995

Bürgervereinigung wendet sich gegen die Verharmlosung

Landsberg ist kein „Ort wie jeder andere“

Ausstellung und Bildband zum 50. Jahrestag kritisiert

 

Als verharmlosend, unhistorisch, wenn nicht gar zynisch empfindet die Bürgervereinigung Landsberg im 20. Jahrhundert den Titel der Ausstellung anläßlich des 50. Jahrestages der Befreiung vom Nationalsozialismus. „Ein Ort wie jeder andere“ ist die Ausstellung und der dazu in der Reihe „Rororo-Sachbuch“ erschienene Bildband überschrieben und setzt damit die ums Landsberger Image besorgte Legendenbildung und Geschichtsklitterung fort, die Anton Posset und die von ihm gegründete Bürgervereinigung seit Beginn ihrer historischen Arbeit vor bald 15 Jahren in der bayerischen Kleinstadt Landsberg am Lech erlebten. 50 Jahre dauerte es, daß die Stadt Landsberg, die zunächst diesen Teil ihrer Geschichte völlig leugnete, zu diesem offiziellen „Geschichtsbild“ gefunden hat, das die nationalsozialistischen Verbrechen nicht mehr völlig negiert, sondern versucht zu relativieren. Was in Landsberg geschah, sei in gleicher Form an vielen anderen Orten geschehen, versucht seit Beginn seiner Amtszeit Oberbürgermeister Franz Xaver Rößle (UBV) die Geschichte seiner Stadt „in Bahnen zu lenken“ wie er es 1991 einmal in der „TZ“ nannte.
Zum 50. Jahrestag läßt es sich die Stadt Landsberg einiges kosten, der international anerkannten Forschungsarbeit der Bürgervereinigung ihr geschöntes Bild der Landsberger Zeitgeschichte entgegenzusetzen. In der Historikerin Dr. Edith Raim und dem Kunstmaler Martin Paulus hat sie zwei junge Landsberger gefunden, die – aus welchen Gründen auch immer – der Geschichtsauffassung des Oberbürgermeisters bereitwillig den „wissenschaftlichen“ und „ästhetischen“ Anstrich verleihen.

1923/1924 schrieb Hitler während seiner Festungshaft in Landsberg „Mein Kampf“. Nach Hitlers Machtergreifung 1933 vermarktete sich die Lechstadt zunächst als „Hitlerstadt“ und „Stadt des Führers“ um als „Geburtsort der Ideen des Nationalsozialismus“ 1937 zur „Stadt der Jugend“ und als drittwichtigste Stadt der Nazis neben München und Nürnberg zum nationalsozialistischen Wallfahrtsort zu werden.
Nicht weit von dem Ort entfernt, an dem Hitler sein Theorie des Rassenwahns zu Papier bracht, wurden 1944 elf Konzentrationslager zur Vernichtung der Juden eingerichtet. Im Rüstungsprojekt Ringeltaube wurden in nur zehn Monaten von 30. 000 jüdischen KZ-Häftlingen mindestens 14. 500 ermordet.
Im Mai 1945 errichten die Amerikaner in der Landsberger Saarburgkaserne das größte DP-Lager (Displaced Persons = Verschleppte) der US-Zone für die Überlebenden des Holocaust.
In dem Gefängnis, in dem Hitler „Mein Kampf“ verfaßte, errichten sie das Kriegsverbrechergefängnis Nr. 1, wo NS-Kriegsverbrecher aus den Nürnberger Folgeprozessen und den Dachauer Prozessen inhaftiert waren und wo bis 1951 insgesamt 257 Todesurteile vollstreckt wurden.

In Landsberg finden sich die wesentlichen Stationen der Geschichte des 20. Jahrhunderts, vom „Geburtsort des Holocaust“ – wie der renommierte amerikanische Historiker Abraham Peck Landsberg bezeichnet – über den nationalsozialistischen Wallfahrtsort bis zum Ende des Holocaust in Bayern und der ersten Versuche der Bewältigung und juristischen Ausarbeitung dessen, was die Hinterlassenschaft der Verbrechen des „3.Reichs“ war.
Landsberg ist also alles andere als „ein Ort wie jeder andere“. Wer es als solchen darzustellen versucht, leugnet die historische Einzigartigkeit dieses Ortes und muß zwangsläufig Geschichtsklitterung betreiben.

Entsprechend der zentralen und einzigartigen geschichtlichen Rolle Landsbergs findet sich eine reichhaltige Quellenlage und umfassendes Bildmaterial, was sich in dem vorgelegten Bildband in keinster Weise niederschlägt. In dem Bildband überdecken Bilder beschaulich bürgerlicher Idyllen die Verbrechen, Badefreuden relativieren die historischen Ereignisse. Die Ermordeten werden in diesem Zusammenstellung zu etwas völlig normalem, gehen in der kleinbürgerlichen Banalität unter. Insofern leisten die Autoren, wofür sie bezahlt werden. Landsberg wird zu einem beliebigen und austauschbarem Ort.

Daß dieser Bildband und die Ausstellung gerade zum 50. Jahrestag erscheinen ist beschämend. Die Überlebenden von Kaufering/Landsberg/Dachau in Israel haben dazu Mitte April 1995 mitgeteilt, daß Landsberg für sie niemals „ein Ort wie jeder andere“ sein wird.