50. Jahre danach. Eine Stadt versucht , ihr Gedächtnis zurückzuerlangen. Doch da sind Lücken in der Erinnerung, Schlieren ein Grauschleier, der den Blick trübt ein offizieller Weichzeichner liegt über der Vergangenheit. Mit der Ausstellung „Ein Ort wie jeder andere“ hat die Stadt Landsberg endlich die offizielle Sprachregelung gefunden, mit der sie ihre Geschichte treffend umschrieben findet. Der Oberbürgermeister gibt sich mehr als zufrieden.
Schönfärber in städtischem Auftrag sind die ehemaligen Mitglieder der Bürgervereinigung Martin Paulus, Dr. Edith Raim und Gerhard Zelger. Sie wollen den Titel provozierend verstanden wissen, geraten jedoch in Wallung, als ein Journalist der „Süddeutschen Zeitung“ bei der Ausstellungseröffnung und Präsentation des gleichnamigen Buches „das willkürlich wirkende Nebeneinander von privatem Familienidyll deutscher Landser und dem Todeskampf versklavter KZ-Häftlinge“ kritisiert. Paulus beschimpft den SZ-Journalisten anschließend gar als „voreingenommen“ und von der Bürgervereinigung „ferngesteuert“, da diese die Ausstellung ebenfalls kritisiert: „Die Bilder beschaulich bürgerlicher Idyllen relativieren die historischen Ereignisse. Die Ermordeten werden in diesem Zusammenhang zu etwas völlig normalem.“
Auch andere Medien wie die „TAZ“ oder die „Frankfurter Rundschau“ wollen das Provozierende an dem Titel nicht erkennen, beschreiben Landsberg nicht als einen „Ort wie jeder andere“.
Auch die Überlebenden empfinden das so: „Landsberg ist kein Ort wie jeder andere. Die Landsberger hatten Gelegenheit uns zu helfen. Sie taten es nicht. Ich habe niemanden gesehen, der uns Brot gegeben hätte, als wir auf den Todesmarsch getrieben wurden mitten durch die Stadt.“ erzählt Uri Chanoch, Vorsitzender der Vereinigung der Überlebenden des KZ-Kommandos Kaufering in Israel, der „Süddeutschen Zeitung“. So hinterlassen die Bildkombinationen von Badefreuden und KZ-Greuel bei manchem Besucher der Ausstellung ein ungutes Gefühl.
Und die Stadt Landsberg legt sich zum 50. Jahrestag der Befreiung weiter kräftig ins Zeug. Überlebende der Landsberger Konzentrationslager sind eingeladen. Einige von Ihnen betreten zum ersten Mal nach ihrer Auswanderung oder Rückkehr in ihre Heimat deutschen Boden. In der Aula des Dominikus-Zimmermann-Gymnasiums stellen sie sich professionell moderiert vom bayerischen Rundfunk den Fragen von Schülern. Offensichtlich hat Oberbürgermeister Rößle aus der Blamage bei der Einweihung des Todesmarschdenkmals (Dazu erscheint demnächst ein eigene Webseite) gelernt und Öffentlichkeit hergestellt. Doch so recht will die Gesprächsrunde nicht in Gang kommen. Die ehemaligen KZ-Häftlinge sind von der Reise, die Schüler wohl von den langen Begrüßungs- und Einführungsreden von Oberbürgermeister Rößle und Staatssekretär Huber aus dem Umweltministerium müde.
Was den beiden Rednern gelingt, ist eine rhetorische Meisterleistung. Ausführlich widmen sie sich der Bedeutung der Erinnerungsarbeit für künftige Generationen und feiern die Stadt Landsberg als eine, die sich in vorbildlicher Weise mit den dunkelsten Kapiteln ihrer Geschichte befaßt. Kein Wort davon, daß diese so wichtige Erinnerung bis vor wenigen Jahren völlig unmöglich war. Und kein Wort über Anton Posset, der in den 70er Jahren mit der Erforschung des völlig in Vergessenheit geratenen KZ-Kommandos begann, 1982/83 mit einer Schülergruppe und einer Arbeit über die 11 Landsberger KZs im „Schülerwettbewerb Deutsche Geschichte um den Preis des Deutschen Bundespräsidenten“ mit einem 1. Preis ausgezeichnet wurde und anschließend die „Bürgervereinigung Landsberg im 20. Jahrhundert“ mitbegründete, der es gelang, mit Hilfe von Franz Josef Strauß die letzten erhaltenen KZ-Erdbunker des KZ-Kommandos Kaufering VII unter Denkmalschutz zu stellen und dort eine würdige Gedenkstätte (heute: Europäische Holocaustgedenkstätte) zu errichten.
Dafür zaubert Forstexperte Huber noch ein Kaninchen aus dem Hut: Barbara Fenner, Kollegin von Posset am Landsberger Ignaz-Kögler-Gymnasium, hat doch tatsächlich mit Schülern ein weiteres KZ-Lager freigelegt, vermessen und sichtbar gemacht. Und sie hat gleichzeitig im Gedenkjahr ein Buch veröffentlicht, das zwar von historischen Ungereimtheiten und Fehlern nur so strotzt, dafür vom Titel aber wunderbar ins offizielle Konzept paßt: „Es konnte überall geschehen. Landsbergs schwierige Zeitgeschichte.“ Den Titel will sie bei Primo Levi entliehen haben. Der aber schrieb: „Es könnte überall geschehen.“ Und begibt sich damit nicht aufs wissenschaftliche Glatteis, das dem singulären historischen Ereignis seine Einzigartigkeit raubt.
Zu ihrer Motivation bekannte die Pädagogin auf einer GEW-Veranstaltung, sie habe der Arbeit der Bürgervereinigung und dem, so wörtlich „Nazijäger Posset“ in dieser Stadt etwas entgegensetzen wollen. Und genau dafür gab es die Förderung durch die Stadt Landsberg und eine lobende Erwähnung des recht einseitig gebrieften Festredners Huber.
Dokument: Pressemitteilung Bürgervereinigung wendet sich gegen die Verharmlosung Landsberg ist kein „Ort wie jeder andere“ Ausstellung und Bildband zum 50. Jahrestag kritisiert